von Brigitte Hahl
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9. April 2020
Das meiste ist geschafft Es sind schon etliche stille Tage vergangen seit meinem letzten Blog und wir sind weiterhin alle noch gemeinsam auf dieser ganz besonderen Reise. Es waren tiefe und harte Tage bis hierher. Jede/r war und ist aufgefordert ganz in die Tiefe zu gehen, um sich ihren/seinen verborgensten Ängsten zu stellen. Und ja, es gibt keinen Menschen in dieser großen, weiten Welt, der in diesen Tagen frei von Ängsten sein kann. Für manche sehr klar spürbar, von anderen verdrängt und geleugnet. Und doch sind sie da und so offensichtlich wahrnehmbar. Die Masken sind gefallen, die Panzer sind geknackt. Schau dich um, wann immer du jetzt Menschen triffst. Sogar aus der Distanz ist so offensichtlich erkennbar, wem du da begegnest. Keiner kann sich mehr verstellen, der innerste Kern ist wahrnehmbar. Eine gute Zeit hinzuschauen und hinzuspüren, um dich zu fragen: mit wem willst du deinen Weg wirklich weitergehen? Vor vielen, vielen Jahren auf meinen ersten Nepalwanderungen, stellte ich immer fest, wie wertvoll diese Grenzerfahrungen waren. Eine riesige Chance sich selbst und die Menschen, die auf dieser gemeinsamen Reise dabei waren, ganz ungeschönt und echt kennenzulernen. Wer ist wirklich noch da wenn es ganz eng und anstrengend wird? Auf wen kannst du dich wirklich verlassen? Wer ist am Kämpfen und wer ist im Vertrauen? Wer ist mit Angst und Ablehnung verbunden und wer mit der Liebe und der Hingabe? Jetzt brauchen wir dafür nicht in den Himalaya. Jeder von uns erlebt seine eigene Grenzerfahrung in den eigenen vier Wänden und mit sich selbst. Trau dich einzutauchen, ganz tief bei dir selbst. Lass dich bis zum Bodensatz sinken. Erlaube dir alles zu spüren, ohne dich dabei im Drama zu verlieren. Ganz unten bekommst du wieder Boden unter den Füßen. Von da kannst du aufsteigen. Dann gibt es nichts mehr, was dir noch wirklich Angst machen kann. Dann bist du frei. Ich weiß nicht, was heute geschehen ist. Für mich, ganz persönlich, fühlt es sich heute nach großer Befreiung an. Als könnte das Leben noch einmal ganz neu angeschaut und ganz neu in die Hand genommen werden. Unser altes Leben werden wir nie wieder zurückbekommen. Unter blauem Himmel und bei strahlendem Sonnenschein ist es gestorben, sind wir gestorben. Die Frage ist nun – als was tauchen wir auf? Die Situation ist verletzlich und fragil. Alles Denkbare ist möglich. Aber vielleicht geschieht hier gerade auch etwas, was bisher noch nicht denkbar war. Wir erleben gerade eine kollektive Einweihung. Bei allen Einweihungsrieten ging und geht es immer darum, sich der eigenen Tiefe und Dunkelheit zu stellen Es geht um eine Erfahrung, die sehr körperlich ist und durchlebt und gefühlt werden will. Erst dann kannst du wahrnehmen und entscheiden, was dir wirklich wichtig ist in diesem Leben und wie du dieses Leben nutzen willst. Es geht darum sich den tiefsten Ängsten zu stellen und an die Schwelle des Todes zu gehen. Da ist nicht das Ende – du kannst hindurch gehen und neu und frei auftauchen. Eine kollektive Einweihungserfahrung – wer hätte das jemals für möglich gehalten? Das meiste ist schon geschafft. Manche dürfen jetzt noch ein bisschen tiefer gehen. Gib dir die Erlaubnis an den Punkt zu kommen, an dem du ganz alleine mit dir bist. Vielleicht gibt es Tage und Nächte, die du einfach nur durchweinst und zutiefst berührt bist. Das ist großartig! Dann fängst du endlich an, dich selbst zu spüren, authentisch und ehrlich. Was danach kommt ist einfach nur grandios. Kraft, Klarheit und tiefe Liebe werden, in noch nie dagewesener Art, von da an deine Begleiter sein. Ja, diese Zeit ist groß. So groß, dass sie mit dem Verstand nicht zu begreifen ist. Lass dich ein, gib dich hin, hör auf zu kämpfen und vertraue dem Prozess. Du hast ihn ganz sicher schon einmal überstanden – nämlich bei deiner Geburt. Jeder geht alleine durch diesen Prozess und doch sind wir alle darin verbunden. Ja, das meiste ist bereits geschafft – ich kann es ganz, ganz tief fühlen.